Christian Gerhartsreiter

Christian Gerhartsreiter

Der falsche Rockefeller

1961 - heute

Christian Karl Gerhartsreiter ist ein deutscher Hochstapler, der über drei Jahrzehnte hinweg verschiedene Identitäten annahm und sich in die amerikanische High Society einschlich. Seine bekannteste Täuschung war die Annahme der Identität "Clark Rockefeller", wobei er vorgab, ein Mitglied der berühmten Rockefeller-Familie zu sein. Mit dieser falschen Identität heiratete er eine erfolgreiche Geschäftsfrau, zog eine Tochter auf und bewegte sich in den exklusivsten Kreisen Bostons und New Yorks. Seine Täuschung flog erst auf, als er nach seiner Scheidung seine Tochter entführte, was zu einer landesweiten Fahndung führte. Später wurde er auch wegen Mordes verurteilt.

Geschichte und Hintergrund

Christian Karl Gerhartsreiter wurde am 21. Februar 1961 in Siegsdorf, Bayern, Deutschland, geboren. Er wuchs in einer Arbeiterfamilie auf und zeigte schon früh ein Interesse an Amerika und der amerikanischen Kultur. Im Alter von 17 Jahren kam er als Austauschstudent in die USA, wo er bei einer Familie in Connecticut lebte.

Anstatt nach Deutschland zurückzukehren, beschloss Gerhartsreiter, in den USA zu bleiben. Er begann eine Reihe von Identitätswechseln, die über drei Jahrzehnte andauern sollten. Seine erste falsche Identität war die eines Christopher Chichester, angeblich ein britischer Aristokrat. Später nahm er die Namen Christopher Crowe und schließlich Clark Rockefeller an.

Gerhartsreiter war intelligent und sprachbegabt, was ihm half, seine verschiedenen Identitäten überzeugend darzustellen. Er hatte ein Talent dafür, die Erwartungen und Wünsche der Menschen zu erkennen und sich entsprechend anzupassen. Seine Fähigkeit, verschiedene Akzente zu imitieren und sich in verschiedenen sozialen Kontexten sicher zu bewegen, machte ihn zu einem besonders erfolgreichen Hochstapler.

Während seiner Zeit in den USA erhielt Gerhartsreiter nie eine formale höhere Bildung, obwohl er oft behauptete, an prestigeträchtigen Universitäten wie Yale oder Harvard studiert zu haben. Stattdessen eignete er sich sein Wissen über Kunst, Literatur und Finanzen selbst an, indem er Bücher las und die Menschen in seinem Umfeld beobachtete.

Methoden und Vorgehensweise

Gerhartsreiters Hauptmethode war die Übernahme falscher Identitäten, die ihm Zugang zu exklusiven sozialen Kreisen verschafften. Er wählte seine Identitäten sorgfältig aus, um Prestige und Glaubwürdigkeit zu maximieren, während er gleichzeitig die Überprüfung erschwerte.

Seine Vorgehensweise umfasste mehrere Schlüsselelemente:

Ausnutzung des Rockefeller-Namens: Als "Clark Rockefeller" nutzte Gerhartsreiter den Ruhm und das Prestige einer der bekanntesten amerikanischen Familien. Er wusste, dass die Rockefeller-Familie groß und verzweigt ist, was es schwieriger machte, seine Behauptungen zu widerlegen. Zudem verstand er, dass viele Menschen zögern würden, jemanden direkt zu fragen, ob er wirklich ein Rockefeller sei, aus Angst, unhöflich zu erscheinen.

Detaillierte Hintergrundgeschichten: Für jede seiner Identitäten entwickelte Gerhartsreiter eine umfassende und plausible Lebensgeschichte. Als Clark Rockefeller behauptete er, ein entfernter Cousin der Hauptlinie der Familie zu sein, der in privaten Schulen in den USA und Europa erzogen wurde. Er erzählte komplexe Geschichten über seine angebliche Kindheit und Jugend, die schwer zu überprüfen waren.

Kulturelles Kapital: Gerhartsreiter eignete sich umfangreiches Wissen über Kunst, Literatur, Wein und andere Themen an, die in der High Society geschätzt werden. Er konnte überzeugend über diese Themen sprechen, was seine Glaubwürdigkeit erhöhte und ihm half, sich in elitären Kreisen zu bewegen.

Manipulation und Charisma: Er war ein Meister der sozialen Manipulation und nutzte sein Charisma, um Vertrauen zu gewinnen. Er passte sein Verhalten und seine Interessen an die jeweilige Situation und die Erwartungen seiner Umgebung an.

Vermeidung von Überprüfungen: Gerhartsreiter vermied sorgfältig Situationen, in denen seine Identität überprüft werden könnte. Er behauptete oft, mit seiner Familie zerstritten zu sein oder dass seine Dokumente und Vermögenswerte in Trusts oder Offshore-Konten gehalten würden, die schwer zugänglich seien.

Strategische Beziehungen: Er suchte gezielt Beziehungen zu wohlhabenden und einflussreichen Personen, die ihm Zugang zu weiteren sozialen Kreisen verschaffen konnten. Seine Heirat mit Sandra Boss, einer erfolgreichen Unternehmensberaterin, verschaffte ihm finanzielle Sicherheit und erhöhte seine soziale Glaubwürdigkeit.

Bekannteste Coups

Die Clark Rockefeller-Identität

Gerhartsreiters bekanntester und erfolgreichster Betrug war die Annahme der Identität "Clark Rockefeller". Ab den frühen 1990er Jahren gab er sich als Mitglied der berühmten Rockefeller-Familie aus und behauptete, ein vermögender Erbe zu sein, der von Treuhandfonds lebte. Mit dieser Identität bewegte er sich in den exklusivsten sozialen Kreisen von Boston und New York.

1995 traf er Sandra Boss, eine erfolgreiche Unternehmensberaterin bei McKinsey & Company. Sie heirateten 1995, und Boss verdiente während ihrer Ehe etwa 2 Millionen Dollar pro Jahr, während "Rockefeller" vorgab, komplexe Finanzgeschäfte zu tätigen, aber tatsächlich nicht arbeitete. Das Paar bekam eine Tochter und lebte in einem luxuriösen Haus in Cornish, New Hampshire.

Während dieser Zeit wurde Gerhartsreiter Mitglied in exklusiven Clubs wie dem Algonquin Club in Boston und dem Yacht Club in New York. Er sammelte teure Kunst und gab vor, ein Experte für seltene Bücher zu sein. Er diente sogar im Vorstand mehrerer Institutionen, darunter das Kunstmuseum von Cornish.

Die Christopher Chichester-Identität

In den frühen 1980er Jahren lebte Gerhartsreiter in San Marino, Kalifornien, wo er sich als Christopher Chichester, ein britischer Aristokrat, ausgab. Er behauptete, ein Verwandter von Lord Mountbatten zu sein und an der Universität von Südkalifornien zu unterrichten. Er mietete ein Gästehaus von einem älteren Ehepaar, John und Linda Sohus.

1985 verschwanden John und Linda Sohus spurlos. Kurz darauf verschwand auch "Chichester". Erst 1994 wurden menschliche Überreste im Garten des Hauses gefunden, die später als die von John Sohus identifiziert wurden. Linda Sohus wurde nie gefunden. Gerhartsreiter wurde schließlich 2013 des Mordes an John Sohus für schuldig befunden.

Die Christopher Crowe-Identität

Nach seinem Verschwinden aus San Marino tauchte Gerhartsreiter in Connecticut als Christopher Crowe auf. Er behauptete, ein Fernsehproduzent zu sein, der an der Fernsehserie "Alfred Hitchcock Presents" arbeitete. Er erhielt sogar eine Stelle bei einer Wertpapierfirma in Connecticut, wo er als Anlageberater arbeitete, bis Unregelmäßigkeiten in seinem Hintergrund entdeckt wurden und er erneut verschwand.

Entdeckung und Konsequenzen

Gerhartsreiters Täuschung als Clark Rockefeller begann sich 2006 aufzulösen, als seine Frau Sandra Boss eine Privatdetektei beauftragte, um seinen Hintergrund zu überprüfen. Die Ermittlungen ergaben zahlreiche Unstimmigkeiten in seiner Geschichte, was zur Scheidung des Paares führte. Im Rahmen der Scheidungsvereinbarung erhielt Gerhartsreiter ein beträchtliches Abfindungspaket und eingeschränkte Besuchsrechte für seine Tochter.

Am 27. Juli 2008 entführte Gerhartsreiter seine siebenjährige Tochter während eines beaufsichtigten Besuchs in Boston. Dies löste eine landesweite Fahndung aus und führte zu intensiver Medienberichterstattung. Eine Woche später wurde er in Baltimore gefunden und verhaftet, und seine Tochter wurde sicher zu ihrer Mutter zurückgebracht.

Nach seiner Verhaftung begannen Ermittler, seine wahre Identität zu untersuchen. Fingerabdrücke und DNA-Tests enthüllten, dass "Clark Rockefeller" in Wirklichkeit Christian Karl Gerhartsreiter war, ein deutscher Staatsbürger, der 1978 in die USA gekommen war. Die Ermittlungen deckten auch seine Verbindung zu dem ungelösten Verschwinden von John und Linda Sohus in Kalifornien auf.

2009 wurde Gerhartsreiter wegen der Entführung seiner Tochter und Körperverletzung an einem Sozialarbeiter zu vier bis fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Während er diese Strafe verbüßte, wurde er 2011 wegen des Mordes an John Sohus angeklagt.

Im April 2013 wurde Gerhartsreiter des Mordes ersten Grades an John Sohus für schuldig befunden und zu 27 Jahren bis lebenslänglicher Haft verurteilt. Er verbüßt derzeit seine Strafe im kalifornischen Gefängnissystem und wird frühestens 2039 für eine Bewährung in Frage kommen.

Vermächtnis

Christian Gerhartsreiters Geschichte hat ein bedeutendes kulturelles Erbe hinterlassen und wurde zum Gegenstand zahlreicher Bücher, Dokumentarfilme und sogar eines Spielfilms. Der Fall fasziniert die Öffentlichkeit aufgrund der außergewöhnlichen Dauer und des Umfangs seiner Täuschungen sowie der Fragen, die er über Identität, Selbstdarstellung und die Natur der amerikanischen Gesellschaft aufwirft.

Sein Fall hat auch zu Diskussionen über die Leichtigkeit geführt, mit der jemand in den USA eine falsche Identität annehmen kann. In den Jahrzehnten vor dem 11. September 2001 und der darauf folgenden Verschärfung der Identitätsüberprüfungen war es relativ einfach, mit minimaler Dokumentation eine neue Identität zu schaffen.

Gerhartsreiters Geschichte wirft auch Licht auf die Funktionsweise der amerikanischen High Society und die Rolle, die Namen, Verbindungen und kulturelles Kapital beim Zugang zu exklusiven Kreisen spielen. Sein Erfolg als "Clark Rockefeller" zeigt, wie der Nimbus eines berühmten Namens und die Fähigkeit, über die richtigen Themen zu sprechen, Türen öffnen können, die sonst verschlossen bleiben würden.

In der Populärkultur wird Gerhartsreiter oft als eine Art dunkle Verkörperung des amerikanischen Traums dargestellt – ein Einwanderer, der sich selbst neu erfand und in die höchsten Gesellschaftsschichten aufstieg, wenn auch durch Täuschung und letztendlich Gewalt. Seine Geschichte erinnert an literarische Figuren wie Jay Gatsby und Tom Ripley, die ebenfalls ihre Identitäten konstruierten, um in eine Welt einzudringen, die ihnen sonst verschlossen geblieben wäre.

Für Kriminologen und Psychologen bietet Gerhartsreiters Fall eine faszinierende Fallstudie über Hochstapelei, Narzissmus und antisoziale Persönlichkeitsstörung. Seine Fähigkeit, über Jahrzehnte hinweg verschiedene Identitäten aufrechtzuerhalten und sich nahtlos in verschiedene soziale Umgebungen einzufügen, macht ihn zu einem außergewöhnlichen Beispiel für einen Hochstapler.

Zitate

"Ich bin nicht Clark Rockefeller. Ich bin nicht einmal ein Rockefeller... Ich bin Clark." - Christian Gerhartsreiter während seiner Verhaftung
"Ich habe mich nie als Rockefeller ausgegeben. Die Leute haben einfach angenommen, dass ich einer bin, und ich habe sie nicht korrigiert." - Christian Gerhartsreiter (zugeschrieben)
"In Amerika kann man sein, wer man sein will." - Christian Gerhartsreiter (zugeschrieben)

Steckbrief

Name: Christian Karl Gerhartsreiter
Alias: Clark Rockefeller, Christopher Chichester, Christopher Crowe
Geboren: 21. Februar 1961
Nationalität: Deutsch
Kategorie: Hochstapler, Betrüger, verurteilter Mörder
Aktiv: 1978-2008
Bekannteste Tat: Gab sich als Mitglied der Rockefeller-Familie aus
Beute: Mehrere Millionen Dollar durch Ehe und Scheidungsvereinbarung
Strafe: 27 Jahre bis lebenslänglich für Mord