Die falsche Carnegie-Tochter
1857 - 1907
Cassie Chadwick, geboren als Elizabeth Bigley, war eine der berüchtigtsten Betrügerinnen Amerikas um die Jahrhundertwende. Sie gab sich als uneheliche Tochter des Stahlmagnaten Andrew Carnegie aus und erschlich sich auf dieser Grundlage Kredite in Millionenhöhe von verschiedenen Banken. Ihr ausgeklügelter Betrug führte schließlich zum Zusammenbruch einer Bank und zu einem der spektakulärsten Finanzskandale ihrer Zeit.
Elizabeth Bigley wurde 1857 in Eastwood, Ontario, Kanada, geboren. Schon in jungen Jahren zeigte sie eine Neigung zu Täuschung und Betrug. Mit 14 Jahren wurde sie erstmals wegen Fälschung verhaftet, als sie versuchte, eine gefälschte Banknote einzulösen. Dies war der Beginn einer lebenslangen Karriere als Betrügerin.
Nach mehreren kleineren Betrügereien und einer kurzen Gefängnisstrafe zog sie nach Cleveland, Ohio, wo sie sich als Wahrsagerin und Hellseherin ausgab. Dort heiratete sie Dr. Wallace Springsteen, einen wohlhabenden Arzt. Die Ehe wurde jedoch schnell annulliert, als Springsteens Familie ihre betrügerische Vergangenheit aufdeckte.
1882 heiratete sie John Scott und eröffnete ein Bordell in Erie, Pennsylvania, wurde jedoch erneut verhaftet. Nach ihrer Entlassung kehrte sie nach Cleveland zurück und heiratete 1897 Dr. Leroy Chadwick, einen wohlhabenden Witwer und angesehenen Arzt. Diese Ehe verschaffte ihr Zugang zur gehobenen Gesellschaft von Cleveland und legte den Grundstein für ihren größten Betrug.
Cassie Chadwicks größter Coup begann 1897, als sie eine Reise nach New York unternahm. Bei ihrer Rückkehr verbreitete sie das Gerücht, sie sei die uneheliche Tochter des Stahlmagnaten Andrew Carnegie, eines der reichsten Männer der Welt zu dieser Zeit. Um ihre Geschichte glaubwürdiger zu machen, arrangierte sie ein scheinbares Treffen mit Carnegie in seinem Haus in New York.
Ihre Methode war raffiniert: Sie bestach einen Anwalt, sie zum Haus von Carnegie zu begleiten, wo sie angeblich eine private Unterredung mit ihm hatte. In Wirklichkeit wartete sie nur im Vorzimmer, während der Anwalt mit einem Angestellten sprach. Anschließend verbreitete sie das Gerücht, Carnegie habe ihr Schuldscheine in Höhe von Millionen von Dollar ausgestellt.
Um ihre Behauptungen zu untermauern, zeigte sie Bankiers angebliche Schuldscheine von Carnegie vor, die sie selbst gefälscht hatte. Sie behauptete, diese Schuldscheine nicht einlösen zu können, da Carnegie ihr Geheimnis wahren wollte. Stattdessen bot sie den Bankiers an, die Schuldscheine als Sicherheit für Kredite zu hinterlegen, wobei sie versprach, die Kredite mit hohen Zinsen zurückzuzahlen, sobald sie ihr "Erbe" erhalten würde.
Ihre Überzeugungskraft war so stark, dass viele Bankiers ihr glaubten, ohne die Echtheit der Schuldscheine zu überprüfen oder direkt bei Carnegie nachzufragen. Sie nutzte auch psychologische Taktiken, indem sie die Gier der Bankiers ausnutzte und ihnen überdurchschnittliche Renditen versprach.
Ihr größter Erfolg war der Betrug an der Citizens National Bank in Oberlin, Ohio. Der Bankpräsident Charles T. Beckwith gewährte ihr Kredite in Höhe von insgesamt 800.000 Dollar (heute etwa 24 Millionen Dollar) auf der Grundlage ihrer gefälschten Carnegie-Schuldscheine. Dies war mehr als das Gesamtkapital der Bank und führte schließlich zu deren Zusammenbruch.
Beckwith war so überzeugt von Chadwicks Geschichte, dass er nicht einmal versuchte, die Echtheit der Schuldscheine zu überprüfen. Er war geblendet von der Aussicht auf hohe Zinsen und dem Prestige, mit der "Tochter" von Andrew Carnegie Geschäfte zu machen.
Mit dem erschlichenen Geld führte Chadwick einen extravaganten Lebensstil. Sie kaufte Juwelen, Kunstwerke und teure Kleidung und richtete ihr Haus mit luxuriösen Möbeln ein. Bei einer berühmten Einkaufstour in Paris gab sie angeblich 200.000 Dollar aus (heute etwa 6 Millionen Dollar). Diese verschwenderischen Ausgaben verstärkten den Eindruck ihres angeblichen Reichtums und machten ihre Geschichte noch glaubwürdiger.
Chadwicks Betrug flog 1904 auf, als ein Bankier aus Boston misstrauisch wurde und direkt bei Andrew Carnegie nachfragte. Carnegie bestritt, Chadwick zu kennen oder ihr Schuldscheine ausgestellt zu haben. Die Nachricht verbreitete sich schnell, und Chadwicks Gläubiger begannen, die sofortige Rückzahlung ihrer Kredite zu fordern.
Am 7. Dezember 1904 wurde Chadwick verhaftet und wegen Verschwörung zum Betrug und Fälschung angeklagt. Der Fall erregte landesweites Aufsehen und wurde in den Zeitungen ausführlich behandelt. Die Öffentlichkeit war fasziniert von der Frau, die es geschafft hatte, einige der klügsten Finanziers des Landes zu täuschen.
Der Zusammenbruch der Citizens National Bank führte zu einer Finanzkrise in Oberlin und hatte schwerwiegende Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft. Viele Menschen verloren ihre Ersparnisse, und Bankpräsident Beckwith wurde wegen Veruntreuung angeklagt.
Chadwick wurde 1905 zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt. Sie starb am 10. Oktober 1907 im Ohio State Penitentiary an einem Herzinfarkt, nachdem sie nur zwei Jahre ihrer Strafe verbüßt hatte.
Cassie Chadwick wird oft als eine der größten Betrügerinnen in der amerikanischen Geschichte bezeichnet. Ihr Fall führte zu wichtigen Änderungen im Bankwesen, darunter strengere Überprüfungen von Sicherheiten und eine erhöhte Wachsamkeit gegenüber Betrug.
Ihr Leben und ihre Betrügereien wurden in zahlreichen Büchern, Artikeln und sogar in einem Broadway-Stück dargestellt. Sie wird oft mit anderen berühmten Betrügern wie Charles Ponzi verglichen, dessen Name später zum Synonym für Schneeballsysteme wurde.
Chadwicks Geschichte ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Charisma, Selbstvertrauen und die Ausnutzung sozialer Konventionen es einer Person ermöglichen können, selbst erfahrene Geschäftsleute zu täuschen. Ihr Fall zeigt auch die Macht des Namens und des Prestiges in der amerikanischen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Heute wird Chadwick oft als eine frühe Meisterin der Hochstapelei angesehen, die es verstand, die Schwächen des Finanzsystems und die menschliche Psychologie zu ihrem Vorteil zu nutzen.
"Ich habe nichts getan, was nicht jede andere Frau mit Verstand und Gelegenheit auch getan hätte." - Cassie Chadwick (zugeschrieben)
"Die Leichtgläubigkeit der Männer, besonders wenn es um Geld geht, ist grenzenlos." - Cassie Chadwick (zugeschrieben)